CHAOSTHEORIE UND FRAKTALE
Einen entscheidenden Schritt weiter in der wissenschaftlichen Betrachtung der Selbstähnlichkeit brachte uns die Chaostheorie. Basierend auf den physikalischen und quantenphysikalischen Erkenntnissen dieses Jahrhunderts, postuliert diese Theorie, dass sich komplexe Systeme wie z. B. biologische Systeme nichtlinear verhalten und entwickeln. Komplexe Systeme, also auch biologische Systeme, verhalten sich scheinbar chaotisch in ihrer Entwicklung. Trotzdem gehorchen sie genau definierten Ordnungsprinzipien (deterministisches Chaos). Darüber hinaus ist die Entwicklung nichtlinearer Systeme nicht voraussehbar. Diese Systemtheorie sieht in einem Organismus ein sich selbst regulierendes, offenes System, das in permanenter Interaktion mit der Umwelt steht. Für biologische Systeme heißt das, dass sie einerseits zwar klar definierten Ordnungsprinzipien folgen, andererseits aber trotzdem ihre Entwicklung in ihrer Komplexität nicht voraussagbar ist.
Fraktale in der Mathematik
Eine der Möglichkeiten, diese Ordnungsprinzipien im scheinbaren Chaos darzustellen, ist die Fraktale Geometrie. Aus Sicht der Mathematik ist ein Fraktal ein selbstähnliches geometrisches Gebilde, das durch eine wiederholte Durchführung einer festgelegten Gleichungsvorschrift (Iteration) erzeugt wird. Das Ergebnis dieser Gleichung wird immer wieder aufs Neue in dieselbe Gleichung eingebracht. Stellt man an Hand einer Computersimulation die Ergebnisse optisch dar, so bilden sich dabei äußerst komplexe Strukturen, die allerdings - im Detail betrachtet - sich selbst ähneln. Das bekannteste Beispiel ist wohl das „Apfelmännchen“ (siehe entsprechende Literatur). Mathematiker haben durch Iterationsschritte auf diese Art und Weise selbstähnliche Strukturen geschaffen. Das Wort „Fraktal“ (von lat. „Fraktum“, hier im Sinne von „gebrochenzahlig“) wurde von Mandelbrot eingeführt; es bedeutet, dass komplexe Strukturen keine ganzzahligen Dimensionen haben, wie wir sie aus der euklidischen Naturwissenschaft kennen, sondern gebrochenzahlige Dimensionen.
Fraktale in der Biologie
Fraktale entstehen durch spezielle (mathematische) Verhaltensregeln, die als Algorithmen bezeichnet werden. Mittels Darstellung am Computer ist es z. B. möglich, durch den Algorithmus von nur 24 Zahlen optisch ein Farnblatt zu erzeugen. Tatsächlich wurden in den letzten Jahren viele biologische Systeme als Fraktale identifiziert, also als komplexe Gebilde, die sich selbstähnlich darstellen: Man findet im Detail die Gesamtheit wieder. Die Grundlage dafür dürften ähnliche Prozesse sein, wie wir sie durch die Iterationsschritte in den mathematischen Fraktalen kennen. Diese Iterationsprozesse in den biologischen Systemen scheinen permanent abzulaufen. Gemäß den Prinzipien offener Systeme ist dabei eine Interaktion mit der Umgebung permanent gegeben: Energie und Information werden von der Umgebung aufgenommen und wieder abgegeben, um im Sinne der Autopoiese Ordnungsstrukturen höheren Grades zu schaffen. Augenscheinlich fraktal aufgebaute Gebilde in der Biologie sind Gräser, Farne, Blumenkohl, Bäume u.v.m. Es gibt viele Hinweise dafür, dass Iterationsprozesse, die zum Aufbau von fraktalen biologischen Systemen führen, zu den fundamentalen Ordnungsprinzipien in der Biologie gehören.
Fraktale in der Medizin
Auch im menschlichen Organismus konnten viele Strukturen als Fraktale identifiziert werden: Darm, Leber, Nieren, Blutgefäßsystem und auch das Nervensystem dürften in ihrem Aufbau fraktalen Ordnungsprinzipien unterliegen. Allerdings dürfte bei organischen Fraktalen bei jedem Iterationsschritt eine Auswahl zwischen verschiedenen Iterationsformen zur Verfügung stehen, bzw. wird eine Iterationsformel nur für wenige Schritte benutzt und dann plötzlich verändert. Ein ganz offensichtliches Fraktal ist die Lunge. Der Aufbau des Bronchialbaumes folgt in den ersten Generationen einer ganz bestimmten Zahlenskala, insgesamt aber verschiedenen fraktalen Skalen.